Mitglied des Bundestages
Charlotte Schneidewind-Hartnagel
Ein wenig überraschend bin ich im November 2019 in den Bundestag nachgerückt. Mit meiner Erfahrung aus vielen Jahren grüner Politik auf Kommunal- und Landesebene darf ich seitdem unter der gläsernen Kuppel des Reichstagsgebäudes die Interessen der Menschen zwischen Neckar und Tauber vertreten – als erste Grüne Bundestagsabgeordnete des Wahlkreis Odenwald-Tauber seit einer gefühlten Ewigkeit von 28 Jahren.
Ich wurde gut in Berlin aufgenommen. Die Kolleg*innen in der Fraktion vertrauten mir wichtige Themen an, obwohl die Kompetenzen längst verteilt waren. Ich konnte mich zunächst für Alleinerziehende einsetzen und anschließend den grünen Sitz in der Kinderkommission des Bundestags sowie einen Sitz im Ausschuss für Familien, Senior*innen, Frauen und Jugend übernehmen. Inzwischen bin ich auch Sprecherin für Zeitpolitik – ein Gebiet, auf dem viele Weichen für die Zukunft gestellt werden – und Vorsitzende der Kinderkommission.
Für die Held*innen des Alltags
Meinen ersten Beitrag für SüdWestGrün leitete ich mit einem Zitat des früheren US-Präsidenten Barack Obama aus dem Jahr 2011 ein: „Wir sollten alles dafür tun, damit dieses Land den Erwartungen unserer Kinder gerecht wird.“ Das bedeutet, dass wir uns auch um die Mütter und Väter in allen Familienformen kümmern müssen. In dem von mir erarbeiteten Positionspapier „Alle Familien im Blick – Auch für Alleinerziehende bessere Bedingungen schaffen“ fordert die grüne Bundestagsfraktion etwa eine Kindergrundsicherung, die Abschaffung von Steuerklasse V und die Aufhebung der Sanktionen in der Grundsicherung, ein Recht auf Homeoffice und mehr Mitbestimmung bei den eigenen Arbeitszeiten. Nicht die Ein-Eltern-Familie ist defizitär sondern die Rahmenbedingungen auf die sie trifft. Diese Aspekte gewannen noch an Relevanz dazu, als während der Arbeit an dem Papier die Corona-Pandemie den ersten Lockdown brachte.
Dabei geht es nicht um einige Wenige: Bundesweit, und auch in Baden-Württemberg, ist schätzungsweise jede fünfte Familie eine Einelternfamilie. Die Krise hat uns vor Augen geführt, dass vor allem in der Sozialpolitik generell viel Luft nach oben ist – für Kinder und Eltern. Das gilt aber auch für die Gesundheits- und Pflegeberufe und pflegende Angehörige – und das sind mehrheitlich Frauen. Für ihre Interessen setze ich mich aus tiefster Überzeugung ein.
Zeit als Indikator von Wohlstand
Als zeitpolitische Sprecherin trete ich dafür ein, dass nicht nur materielle Sicherheit, sondern auch Zeit als Indikator von Wohlstand und Lebensqualität betrachtet wird. Wer selbstbestimmt leben will, braucht mehr Zeitsouveränität und Flexibilität.
Ich bin überzeugt, dass wir nicht nur die Diskussion zur geschlechtergerechten Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit, voranbringen, sondern auch zeigen, dass wir gute Lösungsansätze für drängende Fragen der Vereinbarkeit haben. Prämissen sind für mich Gerechtigkeit, Anerkennung von Sorgearbeit und Gleichstellung aller Geschlechter. Mit der KinderZeit Plus haben wir ein wirksames Instrument, damit alle Eltern mehr Zeit für die Familie haben und die Familienarbeit gerechter verteilt wird. Die jüngste Reform von Elterngeld und Elternzeit wird den Bedürfnissen von Eltern nicht gerecht. Das haben wir in einem Entschließungsantrag aufgezeigt. In Regierungsverantwortung werden wir es besser machen.
Pflegende stärken
Care-Arbeit aufzuwerten und neu zu verteilen, ist eine der drängendsten Fragen. In Deutschland kümmern sich rund 5 Millionen Menschen zu Hause um pflegebedürftige Erwachsene oder Kinder – oft ohne professionelle Unterstützung. Und immer noch sind zwei Drittel davon Frauen, die diese umfassende Arbeit leisten. Bereits während des ersten Lockdowns hat unser Arbeitskreis den Antrag „Pflegende Angehörige unterstützen – Nicht nur in der Corona-Krise“ eingebracht. Aktuell stehen wir mit einem weiteren Antrag in den Startlöchern. Mit der PflegeZeit Plus wollen wir pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf auch finanziell besser unterstützen, Auszeiten flexibilisieren und die Betreuung auf mehrere Schultern verteilen.
Erstmals Klima in der Kinderkommission – mit Kindern
Zu meiner Freude hat mich die Bundestagsfraktion in die Kinderkommission berufen und seit Februar dieses Jahres habe ich dort den Vorsitz übernommen. Dabei ist mir besonders wichtig, nicht nur über sondern auch mit Kindern und Jugendlichen zu sprechen. Sie sind die besten Expert*innen für ihre Lebenswirklichkeit und ihre Wünsche. Auf meiner Website haben wir deswegen einen Kommunikationskanal für sie eingerichtet, durch den sie mich schnell und einfach erreichen können.
Meinen KiKo-Vorsitzzeit widme ich dem Thema „Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf Kinder und Jugendliche“. Damit stehen erstmals in der Geschichte der Kinderkommission ökologische Fragen auf der Tagesordnung. Zum Abschluss der Legislaturperiode werden wir eine gemeinsame Stellungnahme vorlegen, die verschiedene Aspekte wie Bildung, Gesundheit, Verbraucher*innenschutz und Partizipation berücksichtigt. Diesen Fragen gehen wir in insgesamt acht parlamentarischen Anhörungen nach.
Starke Kinderrechte ins Grundgesetz
Ein Punkt, das mir besonders wichtig ist, ist die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes ist seit langer Zeit überfällig. Zum Thema „Kinderrechte in und nach der Corona-Krise“ habe ich meine Position mit einer Rede im Plenum unterstrichen. Durch Lockdown, Schul- und Kitaschließungen, Kontaktbeschränkungen und digitales Lernen steht das Leben der Kinder Kopf. Das hat gravierende Auswirkungen auf ihren Alltag, ihre Chancen und ihre Rechte – doch als es um Entscheidungen in der Covid-19-Pandemie ging, wurden Kinder nicht gehört.
Wir Grüne wollen schon lange die Kinderrechte im Grundgesetz stärken – nicht nur „angemessen“ wie die große Koalition, sondern „vorrangig“. Wir haben dazu 2019 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Fast am Ende der Legislaturperiode zieht die Regierung zögerlich nach. Leider bleibt sie weit hinter unserem Entwurf zurück und wird den grundlegenden Forderungen der UN-Kinderrechtskonvention – Schutz, Partizipation und Förderung – nicht gerecht. Wir wollen und wir können es besser machen. „Politik ist angewandte Liebe zum Leben“, hat Hannah Arendt gesagt – und im Kern hat sie damit recht. Für mich ist grüne Politik die beste Antwort auf die Verantwortung, die wir Menschen für uns selbst und für das Ganze haben. GRÜN ist Lust auf Gestalten, damit Gutes daraus wird. Das ist unsere Aufgabe als Abgeordnete, als starke Landesgruppe und als Fraktion in zukünftiger Regierungsverantwortung.