Mein Beitrag zu SüdwestGrün, dem Rundbrief der Baden-Württembergischen Grünen im Bundestag

Eine Politik für die Unterstützung, die Alleinerziehende verdienen

Familienmodelle sind längst vielfältiger als Mutter-Vater-Kind. In jeder fünften Familie leben Kinder allein mit einem Elternteil. In neun von zehn Fällen wachsen sie bei ihrer Mutter auf. Das ergibt knapp 1,5 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern in Deutschland, und jährlich werden es rund 300.000 mehr. Alleinerziehende sind keine Ausnahme mehr. Wie viel sie jeden Tag leisten, ist in der Corona-Krise besonders sichtbar geworden. Um die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse in der Politik ist es jedoch schlecht bestellt: Ihr Armutsrisiko ist viermal höher als das der meisten Paarfamilien mit Kindern.

Gegen diese Benachteiligung setzen wir Grüne uns schon sehr lange ein und haben viele Ideen und Lösungen entwickelt. Und wir denken über neue Wege nach. Für einen Beschluss der Bundestagsfraktion habe ich den Stand unserer Positionen zusammengetragen.

Oft am Limit – kräftemäßig und finanziell

Schon vor Corona waren viele Alleinerziehende am Limit – kräftemäßig und finanziell. Sie sind an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr im Einsatz. Jeder Anruf aus der Kita, jeder Impftermin und jeder Elternabend können den Alltag durcheinanderwirbeln. Manche kümmern sich obendrein um pflegebedürftige Angehörige. Manche Alleinerziehende  betreuen ein Kind mit Behinderungen.

Die Familie finanziell abzusichern, stellt für viele eine Herausforderung dar. Obwohl alleinerziehende Frauen in einem größeren Umfang erwerbstätig als Mütter in Paarfamilien, bleibt oft kein Geld für einen Urlaub. Eine kaputte Waschmaschine kann schnell das Budget sprengen. Armut hat weitreichende Folgen: Sie beeinträchtigt Gesundheit, Bildung und die Möglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt. Armut schafft Ungerechtigkeiten und verbaut Zukunftschancen.

Würde und Teilhabe

Für Alleinerziehende und ihre Kinder sind staatliche Leistungen oft besonders wichtig. Von den rund 1,9 Millionen Kinder im Hartz IV-Bezug lebt jedes zweite Kind bei einem alleinerziehenden Elternteil. Doch die Regelsätze reichen kaum zum Leben. Kindergelderhöhungen verpuffen oft, weil das Kindergeld im Unterhaltsvorschuss und im Arbeitslosengeld II voll angerechnet wird. Der Entlastungsbetrag entlastet nur die mit höherem Einkommen spürbar. Alleinerziehende fallen zu oft durch das Raster der Familienförderung.

Diese muss endlich Alleinerziehende und ihre Kinder in den Blick nehmen und es ihnen erleichtern, Erwerbsarbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen.

Drei Handlungsfelder

In drei Bereichen streben wir spürbare Verbesserungen an: bei der Armutsbekämpfung, bei familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und bei der Kinderbetreuung. Wir haben zahlreiche Forderungen formuliert, von denen ich hier einige aufführe:

 

  1. Armut bekämpfen

 

  • Im Kampf gegen Kinderarmut setzen wir mit der Kindergrundsicherung auf eine grundlegende Reform des Fördersystems. So wollen wir faire Chancen auf einen guten Start ins Leben gewährleisten – unkompliziert, unbürokratisch und unabhängig vom Einkommen der Eltern.
  • Der Entlastungsbetrag wird jetzt im Rahmen des Konjunkturpaketes der Regierung für zwei Jahre verdoppelt – doch er entlastet Geringverdienende kaum. Wir sind für eine Steuergutschrift, die alle Alleinerziehenden in gleicher Höhe von der Steuerschuld abziehen können. Und das fordern wir dauerhaft, denn Alleinerziehende tragen nicht nur in Corona-Zeiten eine höhere Last.
  • Wir wollen eine gerechte Steuerpolitik, die Familien statt Ehen fördert und die der Erwerbstätigkeit von Frauen keine Steine in den Weg legt. Für neu geschlossene Ehen wollen wir das Ehegattensplitting durch eine individuelle Besteuerung ersetzen und die Steuerklasse V abschaffen.
  • Viele Alleinerziehende müssen von viel zu niedrigen Regelsätzen leben. Wir wollen das korrigieren und die Grundsicherung durch eine Garantiesicherung ersetzen, die gesellschaftliche, kulturelle, politische und auch digitale Teilhabe garantiert.
  • Sanktionen auf Hartz IV-Leistungen müssen vollständig abgeschafft werden. Alleinerziehende brauchen stattdessen individuelle Beratung und Unterstützung.
  • Wir müssen das Prinzip der Bedarfsgemeinschaften hinter uns lassen und zu individuellen Leistungen übergehen, um die Benachteiligung Alleinerziehender zu verringern.
  • Alleinerziehende haben es am Wohnungsmarkt oft schwer. Ihr Menschenrecht auf Wohnen darf nicht zum Spielball des Marktes werden. Wir wollen massiv in den sozialen Wohnungsbau investieren, eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen und den Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter deutlich verbessern.
  • Das hohe Aufgabenpensum und die oft schwierige finanzielle Situation beeinträchtigen die Gesundheit von Alleinerziehenden. Die Krankenkassen müssen Leistungen zu Prävention und Gesundheitsförderung stärker an den Bedarfen von Alleinerziehenden ausrichten.

 

  1. Bessere Erwerbsarbeits- und Ausbildungsbedingungen
  • Alleinerziehende brauchen Erwerbsarbeit mit fairen Löhnen, die Armut verhindern und Teilhabe ermöglichen. Dafür wollen wir die Mindestlohnkommission reformieren und gesetzlich verankern, dass der Mindestlohn vor Armut schützen muss. Wir streben die schnellstmögliche Anhebung auf 12 Euro und bessere Möglichkeiten dafür an, Tarifverträge für ganze Branchen allgemeinverbindlich zu erklären.
  • Minijobs wollen wir in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umwandeln, damit (zusätzliche) Erwerbstätigkeit auch zu einem spürbar höheren Einkommen führt.
  • Alleinerziehende brauchen mehr Spielräume bei der Gestaltung von Arbeitszeit und -ort . Wir setzen uns für das Recht ein, die Lage der eigenen Arbeitszeit mitzubestimmen. Außerdem fordern wir das Recht auf Homeoffice und mobiles Arbeiten – mit klaren Regeln gegen Mehrarbeit und Entgrenzung.
  • Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung müssen mit der Situation von Alleinerziehenden vereinbar sein. Wir fordern einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung und die Gewährleistung von Weiterbildungsteilzeit.
  1. Betreuungsangebote zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf
  • Erwerbsarbeit ist für Eltern nur möglich, wenn die Kinderbetreuung gesichert ist. Wir fordern einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung für alle Kinder bis zum Ende der Grundschulzeit, inklusive einer gesetzlich gesicherten, hohen Qualität der Angebote.
  • Die Angebote der öffentlich geförderten Kindertagesbetreuung sowie der Kindertagespflege müssen den Bedürfnissen berufstätiger Eltern und ihrer Kinder entsprechen – und für all das braucht es qualifiziertes Personal.
  • Alleinerziehende brauchen ein flexibles Betreuungsangebot in Randzeiten, am Wochenende, in den Ferien und an Kita-Schließtagen

Statt auf Einmalmaßnahmen setzen wir auf grundlegende Veränderungen, um Alleinerziehende zu stärken. Für sie, die besonders viel leisten und viel zu häufig aus dem Blick geraten, wollen wir mit nachhaltigen Lösungen ihre Lebenslagen verbessern. Alleinerziehende verdienen eine bessere Unterstützung – wir können und wir müssen sehr viel mehr für sie tun.

Rundbrief der Baden-Württembergischen Grünen im Bundestag: Südwestgrün 02_20 August 2020