Bundesregierung bleibt bei Kinderkrankentagen lebensfremd

Trotz Corona hat die Bundesregierung sich erst nach Druck von außen dazu durchgerungen, die Zahl der Kinderkrankentage zu erhöhen. Mit der beschlossenen Ausweitung offenbart die Koalition aber weiterhin große Lebensferne. Wenn im Herbst und Winter viele Kinder mit leichten Erkältungssymptomen wieder nach Hause geschickt werden, stehen ihre berufstätigen Eltern bald vor der Schwierigkeit, dass die Kinderkrankentage aufgebraucht sind und sie sich unbezahlt von der Arbeit freistellen lassen müssen. Zudem gilt die Ausweitung nur für das laufende Jahr.

Bisher galt: Eltern hatten für ihr Kind unter 12 Jahren Anspruch auf zehn Kinderkrankentage. Elternpaare konnten also bis zu 20 Tage Kinderkrankengeld bekommen, um ihr Kind zu Hause zu pflegen. Auch Alleinerziehende hatten Anspruch auf 20 Tage. Sind die Kinderkrankentage aufgebraucht, bleibt vielen Eltern nur, sich unbezahlt von der Arbeit freistellen zu lassen. Für Alleinerziehende und Familien mit kleinem Einkommen ist das oft schwer zu leisten. Jetzt hat die Koalition wegen der Corona-Pandemie beschlossen, dass jedes Elternteil für das Jahr 2020 weitere fünf Tage beanspruchen kann – für Alleinerziehende sind es weitere zehn Tage. Unterm Strich kommen also maximal 30 Tage pro Kind zusammen.

Koalition verweigert sich Lebensrealitäten

Die bisher geltende Begrenzung der Kinderkrankentage griff – schon lange vor Corona – zu kurz. Sie ignorierte familiäre Lebenswirklichkeiten. Die Koalition verweigert aber eine echte Reform. Noch Anfang August 2020 habe ich auf meine schriftliche Frage, ob die Bundesregierung nicht wenigstens angesichts der grassierenden Pandemie erwäge, die Zahl der Kinderkrankentage auszuweiten, die Antwort bekommen: „Eine Ausweitung der Anspruchsdauer für Kinderkrankengeld über den festgelegten Zeitraum hinweg ist derzeit nicht vorgesehen.“ Die Bundesregierung verwies auf die Lohnersatzleistung nach Infektionsschutzgesetz.

Inzwischen ist der Druck von außen so stark angewachsen, dass sich die Koalition wenigstens zu einem kleinen Schritt veranlasst sah. Und ich hoffe sehr, dass sie im Laufe der bevorstehenden kalten Jahreszeiten nachsteuert. Bis zum vergangenen Herbst waren leichte Erkältungssymptome, wie sie in den Herbst- und Wintermonaten bei vielen Kindern vorkommen, nicht unbedingt ein Grund, zu Hause zu bleiben. In diesem Jahr wird sich das ändern, denn die Symptome einer einfachen Erkältung lassen sich kaum von denen einer Covid-19-Infektion unterscheiden. In vielen Kindertagesstätten und Schulen werden schon jetzt Kinder mit Schnupfen oder leichtem Husten wieder heimgeschickt.

Dauerhafte Ausweitung und Anspruch auch bei älteren Kindern

Das wird sicher auch die Wintermonate 2021 betreffen. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Kinderkrankentage schon vor Corona zu gering war, wäre es das Mindeste, die Begrenzung der zusätzlichen Tage auf das laufende Jahr aufzuheben. Wer Kleinkinder zu Hause hat, weiß: Zehn bis 12 Infektionen pro Jahr sind keine Seltenheit, und gerade im ersten Kita-Jahr sind Kinder häufiger krank.

Realitätsfern ist auch die Begrenzung des Anspruchs auf Kinderkrankengeld auf Kinder, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Ausnahmen gelten bei Behinderungen). Dieses Höchstalter muss angehoben werden. Außerdem sollte die Attestpflicht erst ab dem 4. Krankheitstag erfolgen. Das würde nicht nur die Familien mit kranken Kindern, sondern auch die Kinderarztpraxen entlasten.