Die ersten drei Monate im Jahr 2020 haben uns deutlich gezeigt, dass wir in vielen Bereichen umdenken und unser Handeln verändern müssen. Es wirkt, als bewegten wir uns von einem Ausnahmezustand zum nächsten: Den Februar prägte der Rechtsextremismus, von den demokratiezermürbenden Spielchen in Erfurt bis hin zum Terror in Hanau. Im März kam die Coronakrise, die uns noch lange begleiten wird.
So unterschiedlich die Situationen sind, beide erfordern, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass dieser Zusammenhalt nicht nur ein vorübergehender ist, sondern dass aus ihm eine bessere und gerechtere Zukunft entstehen kann.
Demokratie verteidigen
Der absolute Tiefpunkt im Februar war der rechtsterroristische Anschlag gegen unsere freie, demokratische und friedliche Gesellschaft, der in Hanau neun Unschuldige das Leben kostete. Dass wir um die Opfer trauern, darf uns nicht sprachlos machen. Wir Demokrat*innen dürfen nicht schweigend zusehen, wie einige Wenige am Fundament unserer Demokratie rütteln.
In Hanau sind auch deshalb Menschen gestorben, weil die AfD und andere Rassismus (wieder) gesellschaftsfähig machen. Wenn Bürger*innen sagen, vor Ort seien die Vertreter*innen der AfD harmlos, nett und anständig, dann müssen wir beherzt widersprechen. Faschist*innen sind nicht harmlos! Ihre Wähler*innen auch nicht! Dass sie demokratisch gewählt wurden, macht Vertreter*innen der AfD noch lange nicht zu Demokrat*innen.
Und wenn der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck ausgerechnet nach Hanau öffentlich zu einer „erweiterten Toleranz“ gegenüber rechts aufruft, muss uns das mindestens irritieren. Ich habe Herrn Gauck daraufhin einen offenen Brief geschrieben (nachzulesen hier: https://t1p.de/sbjk), weil Toleranz gegen Intoleranz uns nicht stärkt sondern schwächt.
Zusammenhalt bewahren
Ich möchte nicht von „Chancen“ sprechen, die sich aus der Coronakrise ergeben könnten. Das kommt mir zynisch vor. Wir können aber sehr wohl etwas aus dieser Ausnahmesituation lernen.
Wir sind zu Zusammenhalt fähig. Als Grüne haben wir den Anspruch, diesen Zusammenhalt zu fördern und zum Zukunftsmodell auszuweiten. Nur in der Gemeinschaft können wir mehr erreichen.
Wir sind in der Lage, unsere Verhaltensweisen schnell zu ändern. Blicken wir auf die Klimakrise, auf das Gefälle zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West, zwischen arm und reich, die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, usw. – wir können die Fähigkeit der Menschen zu schnellen Veränderungen nutzen, um eine bessere Gesellschaft zu entwickeln
Die Populisten haben in der Krise keine Antworten. Wir müssen entlarven, dass rechte Demagog*innen nichts anzubieten haben, wenn es darauf ankommt. Im Spalten und Hetzen sind sie unschlagbar, im Unterstützen von Menschen sind sie unfähig.
Verantwortungsbewusst in der Krise
Wir alle befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation. Die bringt mit sich, dass Gesetze im Eiltempo verabschiedet werden. Manchmal sind sie mit heißer Nadel gestrickt. Deshalb bringen wir uns als Opossitionsfraktion verantwortungsbewusst und kritisch-konstruktiv ein, denn wir ziehen all an einem Strang. Damit wir Ergebnisse erzielen, die sich im Alltag als praktikabel erweisen, wollen wir Herz und Ohr dicht an den Menschen, Verbänden und Organisationen haben, die die Bedürfnisse und Anforderungen aus der täglichen Arbeit am besten kennen.
Die Coronakrise belastet viele Familien enorm. Schulen, Kitas und ambulante Pflegeeinrichtungen sind geschlossen, und Familien müssen die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen neu organisieren. Besonders schwierig ist das damit verbundene Jonglieren von Arbeits- und Betreuungszeiten für Alleinerziehende. Familien-, Arbeits- und Schul- bzw. Kitaleben finden nun oft am gleichen Ort statt. Das verlangt Eltern und Kindern ein hohes Maß an Geduld und Flexibilität ab. Kontaktverbote und die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens erschweren die Situation. Hinzu kommen wachsende Existenzängste: Viele Eltern bangen um ihren Arbeitsplatz und das finanzielle Auskommen ihrer Familie.
Gemeinsam müssen wir alles Erforderliche tun, um unser Gesundheitswesen zu unterstützen, Arbeitsplätze zu erhalten und niemanden zurückzulassen. Es wurden bereits wichtige Schritte beschlossen:
Lohnersatzleistungen für alle, die Kinder zu Hause betreuen und deshalb nicht arbeiten können
Herabgesetzte Zugangsvoraussetzungen für Kinderzuschlag und Grundsicherung
Vereinfachungen beim Kurzarbeiter*innengeld
Ein Rettungsschirm von 750 Mrd. Euro
Veränderung gestalten
Viele soziale Dienste fallen unter den Rettungsschirm. Dennoch müssen weitere Schritte folgen, um Lücken zu schließen. Wir dürfen vor allem die Familien nicht aus dem Blick verlieren, die schon vor Corona arm waren. Kostenloses Mittagessen in Schule und Kita fallen weg, Tafeln schließen und wegen Hamsterkäufen finden sich im Supermarkt nur noch die teuersten Lebensmittel. In dieser Situation brauchen diese Menschen zusätzliche Unterstützung.
Es geht aber nicht nur um das Abmildern finanzieller Folgen. Viel mehr Frauen und Kinder als sonst sind von häuslicher und sexualisierter Gewalt bedroht, wenn Quarantänen und Ausgangsbeschränkungen greifen. Beratungen und Hausbesuche müssen weiterhin möglich, Schutzräume zugänglich sein. Wir wollen und müssen Veränderung jetzt gestalten.
Damit alles, was wir im Bundestag beschließen, wie beabsichtigt in der Praxis wirkt, brauchen wir engen Kontakt mit Verbänden und Akteur*innen vor Ort: Welche Hilfe wird konkret gebraucht? Wie läuft es mit der Umsetzung von Beschlüssen auf der Landesebene und in den Kommunen? Wo besteht Änderungsbedarf? Wer fällt durchs Raster? Und was sollten wir auf lange Sicht aus dieser Ausnahmesituation lernen? Ich denke dabei nicht zuletzt an die angemessene Anerkennung und Entlohnung von Care-Arbeit, die häufig von Frauen geleistet wird und deren Bedeutung spätestens in der Coronakrise unübersehbar wird.
Trotz aller Hiobsbotschaften: Einfallsreichtum, Solidarität und Mut auf allen Ebenen der Gesellschaft sind beeindruckend und bestärken mich in der Hoffnung, dass wir diese Krise nicht nur meistern sondern als Gemeinschaft an ihr wachsen werden.
In der Grünen Fraktion im Bundestag bin ich eine von 13 Abgeordneten aus Baden-Württemberg. Unsere Landesgruppe arbeitet gut und konzentriert zusammen und ich freue mich unseren Landesgruppen-Rundbrief „Südwestgrün“ hier zur Verfügung stellen zu können, der obige Text ist mein Beitrag für die Ausgabe April 2020
Der Rundbrief ist besonders für die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg gedacht, aber auch für andere Interessierte.
Wer den Rundbrief abonnieren möchte, kann eine E-Mail mit dem Betreff „Abo Südwest-Grün“ an harald.ebner(at)bundestag.de schicken.
Südwestgrün April 2020