Wir brauchen wieder mehr feministische Mädchenarbeit

Damit morgen die ganze Gesellschaft von starken Frauen profitieren kann, müssen wir heute in Bund und Ländern mit einer parteilichen Mädchenarbeit das Selbstbewusstsein von Mädchen fördern. „Parteilich“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Akteur*innen dieser Arbeit sich hinter die Bedürfnisse der Mädchen stellen und grundlegende Veränderungen von gesellschaftlichen Normen und Rollenverteilung anstrebt.

Um zu konkretisieren, welche Bedeutung feministische Mädchenpolitik heute hat und vor welchen Herausforderungen sie steht, haben die grünen Bundestagsabgeordneten Charlotte Schneiderwind-Hartnagel, Beate Walter-Rosenheimer und Ulle Schauws am 20. Oktober 2020 in einem internen Fachgespräch mit Expertinnen gesprochen. Sabine Wieninger (Geschäftsführende Vorständin von IMMA e.V.), Dr. Claudia Wallner (Referentin*, Autorin* und Praxisforscherin*) und Michi Brosig (Leiterin Mädchen*Club „Tivolotte“, Berlin) lieferten aufschlussreiche Antworten und gaben spannende Impulse.

Vermitteln, dass Diskriminierung strukturell ist

Die feministische Mädchenarbeit verschwinde heute zunehmend hinter modernen Ansätzen, die Gender und Diversity in den Vordergrund rückten, erklärte Wallner. Gerade der Begriff „feministisch“ werde heute in vielen Jugendhilfeperspektiven als unzulässige Politisierung empfunden. Dabei sei es eine wichtige Aufgabe der Mädchenarbeit, Mädchen zu vermitteln, dass erlebte Diskriminierung kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem sei, betonte Brosig.

Zunehmender Rechtspopulismus, der tradierte und längst überwunden geglaubte Rollenvorstellungen wieder salonfähig machen will, ist stellt Erreichtes massiv in Frage. Als schwerwiegender betrachtete Wieninger jedoch die Tendenz der gesellschaftlichen Mitte, die Benachteiligung von Mädchen, geschlechtsspezifische Gewalt und patriarchale Strukturen nicht mehr als relevante Probleme anzuerkennen.

Immer häufiger werde hingegen mit der Schlechterstellung von Jungen, zum Beispiel im Bildungsbereich, argumentiert. Wieninger betonte, dass es hier nicht um ein „entweder – oder“ gehen dürfe: Natürlich brauche es einen Ausbau der Jungenarbeit – dieser dürfe jedoch nicht auf Kosten der Mädchenarbeit erfolgen.

Forschungslücken schließen und Strukturen feministischer Mädchenarbeit fördern

Um Mädchenarbeit auch konzeptionell voranzubringen, braucht es repräsentative Forschung. Wissenschaftliche Arbeiten zu feministischer Mädchenarbeit sind rar und veraltet. Erkenntnisse zu unterschiedlichen Ansätzen und der Wirkung von Mädchenarbeit können ein wichtiger Motor sein, um Mädchenarbeit in Deutschland weiterzubringen – darin waren sich alle Referentinnen einig.

Außerdem müssen Angebote für Mädchen und junge Frauen erhalten und ausgebaut werden. Es sei deutlich, dass dort, wo es Landesstrukturen mit geförderten Geschäftsstellen gibt, die Mädchenarbeit sehr viel besser aufgestellt ist, betonte Wallner und kritisierte gleichzeitig, dass es keine entsprechende Förderung der auf Bundesebene gibt. Auch im Kontext des Kinder- und Jugendplans des Bundes müsse es wieder explizit eine Förderung von Projekten der Mädchenarbeit geben.

Die Lebensrealität von Mädchen stärker in den Blick nehmen

Auf www.meintestgelaende.de haben Jugendliche seit 2013 die Möglichkeit, sich selbst zu Geschlechterfragen zu äußern. Hier wird deutlich: Trotz aller gut gemeinten Bekenntnisse zur Gleichberechtigung sind Benachteiligung, Sexismus, Bodyshaming und geschlechterspezifische Gewalt noch immer fester Bestandteil der Lebensrealität von Mädchen.

Brosig forderte deshalb, deutlich mehr in Gewaltprävention und qualifiziertes Fachpersonal zu investieren. Gleichzeitig erlebten Mädchen nicht nur eine Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechtes, sondern auch durch die Zuschreibung anderer Kategorien, wie Ethnizität oder Sexualität. Genderkompetenz und Antidiskriminierung, aber auch Medienkompetenz müssten konsequent als Schwerpunkte im Curriculum von Aus- und Weiterbildungen von Lehr- und Fachkräften verankert werden, so Brosig.

„Die parteiliche, feministische Mädchenarbeit hat nicht an Bedeutung verloren. Umso wichtiger ist es, den gesellschaftlichen und politischen Diskurs zur Mädchenarbeit wieder aufzunehmen und parteiliche Mädchenarbeit auf Landes- und Bundesebene bestmöglich zu unterstützen“, fasste Schneidewind-Hartnagel zusammen.